Von Jakob Saß |
Tagungsbericht zur Podiumsdiskussion »(Un-)Politisch? Eine Diskussion über die Herausforderungen der Geschichtswissenschaft heute«, 14. Februar 2019, Berlin.
Dass die Demokratie in Deutschland und darüber hinaus aktuell bedroht wird, darin sind sich die meisten Historikerinnen und Historiker einig. Nicht jedoch, was man als Zunft dagegen unternehmen kann oder sollte. Angestoßen wurde die heftige Kontroverse durch die Resolution »zu gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie«, die auf dem 52. Historikertag 2018 in Münster vom VHD verabschiedet wurde.1 »Selten, wenn überhaupt, hat eine Resolution eine derartige Aufmerksamkeit gefunden, sowohl in der Fachwelt wie auch in der breiten Öffentlichkeit«, sagte Peter Funke am 14. Februar 2019 in Berlin vor 200 Gästen.2 Der VHD hatte zu einer Podiumsdiskussion eingeladen, um die Resolutionsdebatte aufzugreifen und über das Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Politik zu diskutieren.
Auf dem Podium vertraten die VHD-Vorsitzende Eva Schlotheuber (Universität Düsseldorf), Ute Frevert (MPI für Bildungsforschung) sowie Norbert Frei (Universität Jena) die Resolutionsbefürworter, kritisch positionierten sich Andreas Rödder (Universität Mainz), Thomas Maissen (DHI Paris) und Dominik Geppert (Universität Potsdam). Unter ihnen, aber auch im Publikum, war das Erklärungs-, Rechtfertigungs- und Aufklärungsbedürfnis so groß, dass es dem kurzfristig eingesprungenen Peter Funke als Moderator in zweieinhalb Stunden nur ansatzweise gelang, die Diskussion von der Resolution oder vom Verband weg- und zum eigentlichen Thema hinzuführen.
Keine Provokation, sondern eine Anregung zur Diskussion
»Wir hatten keine Agenda jenseits des Textes. Die Agenda ist der Text«, stellte Petra Terhoeven klar, die mit ihrem Göttinger Kollegen Dirk Schumann im Sommer 2018 die Initiative zur Resolution ergriffen hatte, um eine Debatte anzuregen. Tatsächlich habe die Resolution auf dem Historikertag »einen Nerv getroffen«, meinte Eva Schlotheuber. Auf der VHD-Mitgliederversammlung wurde die Resolution wie schon am Vorabend kontrovers diskutiert und auch über einzelne Formulierungen mit großen Mehrheiten abgestimmt.
Sehr unterschiedlich wurde dabei die »Diskussionskultur« wahrgenommen. »Ob beabsichtigt oder nicht, es war kein herrschaftsfreier Diskurs«, meinte Dominik Geppert, der sich dort als einer der wenigen kritisch geäußert hatte. Viele hätten den Mund gehalten. Er bedauerte, dass die Debatte so emotional aufgeladen gewesen und daher auch ein Antrag auf geheime Abstimmung von der großen Mehrheit abgelehnt worden war. Norbert Frei stimmte dem zu. Es hätte allerdings keine »Sportpalast-Stimmung« geherrscht, sondern »ein intensives gemeinschaftliches Nachdenken«.
Ein weiterer Streitpunkt war die heftige Debatte, die von der verabschiedeten Resolution in den Medien angestoßen wurde.3 Die Kommunikation in den sozialen Netzwerken sei zum Teil sprachlich extrem eskaliert, kritisierte Frank Bösch aus dem Publikum. Norbert Frei und Petra Terhoeven warfen der FAZ eine einseitige Berichterstattung vor – nur einer von sechs Beiträgen hatte die Resolution verteidigt.4
FAZ-Ressortleiter Patrick Bahners erwiderte, er könne der Vorstellung nicht folgen, die FAZ hätte »paritätisch Pro und Contra bringen« oder Stellungnahmen des Verbandes einholen müssen. Seiner Meinung nach verpasse die Resolution ihre Chance, weil sie auf Vereinfachungen seitens der extremen Rechten selbst mit Vereinfachungen antworte.
Wie politisch soll, kann und darf der VHD sein?
Mit ihren zugespitzten Thesen verprelle die Resolution Mitglieder und mit einer deutschen »Lehrmeisterposition« die Kolleginnen und Kollegen in Polen, Ungarn und Rumänien, bemerkte Thomas Maissen. Stattdessen solle der VHD »Allianzen über die Landesgrenzen hinaus schließen«, indem er anschlussfähige »Minimalstandards« für Wissenschaftsfreiheit definiert und Foren wie diese Podiumsdiskussion für einen Austausch unterschiedlichster Überzeugungen bereitstellt. Die Diskussionen müssten dafür sachlich und nicht moralisch geführt werden, betonte Andreas Rödder. »Wir haben permanent den Subtext des Apologieverdachtes in unserer Wissenschaft.« Allzu leichtfertig werde die »AfD-Keule« ausgepackt.
Rödder, Maissen und Geppert waren sich einig, dass es wichtig sei, sich politisch zu positionieren und zu äußern, allerdings weniger als Verband, sondern vielmehr als Einzelpersonen mit der jeweiligen Expertise. Norbert Frei hielt dagegen, dass sich die AfD etwa mit der Forderung einer »erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad« schließlich auch in die Belange des Verbands einmische. Ute Frevert erinnerte daran, dass der VHD nicht ohne Grund Vertreter politischer Institutionen zu den Historikertagen einlade. »Wenn wir dadurch unsere Bedeutung in der Gesellschaft immer wieder unterstreichen, dann müssen wir auch etwas liefern. Als Geschichtswissenschaft haben wir die Aufgabe, Gesellschaften über sich selber aufzuklären.« Das könne man durchaus auch als Kritik am Missbrauch von Geschichte in anderen Ländern verstehen. »Alle Äußerungen sind implizit politisch, beispielsweise wenn wir uns gegen die Bedrohung der Central European University in Ungarn wenden«, meinte Eva Schlotheuber.
Das Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Politik müsse jede Generation neu reflektieren, so Schlotheuber. Während der Veranstaltung wurde mehrfach die Bedeutung der Nachwuchsförderung betont und der Wunsch geäußert, dass sich gerade die jüngere Generation in der Debatte mehr zu Wort melden solle. Berücksichtigt wurde der Nachwuchs beispielsweise bei der Podiumsbesetzung jedoch nicht.
Die zentrale Frage bleibt offen
Nach zweieinhalb Stunden Schlagabtausch war klar, dass die Resolution trotz aller Kritik ihr Ziel nicht verfehlt hatte: Sie hatte eine Debatte angeregt, die uns hoffentlich noch lange beschäftigt. Zumal die eigentliche Frage, wie politisch bzw. normativ die Geschichtswissenschaft sein soll oder darf, weiterhin offen blieb, wie Moderator Peter Funke eingestand. Er schlug daher eine weitere Diskussionsrunde vor, um den Dialog nicht abbrechen zu lassen. Das ist zu begrüßen. Zwar sind wir nicht mitten in einem zweiten »Historikerstreit«, wie Frank Bösch bemerkte. Die Gefahr einer Spaltung ist jedoch nicht abgewendet, sollten die allseitigen Ermahnungen zu einer sachlichen Diskussionskultur nicht fruchten oder der Verband auf dem nächsten Historikertag womöglich erneut vor der Entscheidung stehen, eine Resolution zu zukünftigen »Gefährdungen« zu verabschieden.
Die gesamte Podiumsdiskussion kann als Videomitschnitt auf L.I.S.A. Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung nachgesehen werden:
»(Un-)Politisch? Eine Diskussion über die Herausforderungen der Geschichtswissenschaft heute«, Podiumsdiskussion, 14. Februar 2019 in Berlin, mit Norbert Frei, Ute Frevert, Dominik Geppert, Thomas Maissen, Andreas Rödder und Eva Schlotheuber, Moderation: Peter Funke.
Fußnoten
1 Resolution des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands zu gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie, in: VHD Journal 2019, S. 28f., online.
2 Eva Schlotheuber, Eine Resolution und ihre Debatte – was ist passiert?, in: VHD Journal 2019, S. 30-32, online.
3 Siehe den Pressespiegel zur Resolution auf der Homepage des VHD.
4 Patrick Bahners, Die Lehrer Deutschlands, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29.9.2018, S. 13; Dominik Geppert und Peter Hoeres, Gegen Gruppendruck und Bekenntniszwang, in: ebd., 10.10.2018, S. 31; Ralf Behrwald, Der Historikerverband wendet sich von Max Weber ab, in: ebd.; Michael Wolffsohn, Brief an Nora Hilgert, Geschäftsführerin des Historikerverbandes, in: ebd.; Frank Bösch und Johannes Paulmann, Zur Verteidigung der Resolution von Münster, in: ebd., 17.10.2018, S. N3; Manfred Hettling, Bedingungen möglicher Lektionen, in: ebd., 31.10.2018.
Dieser Beitrag ist in einer ausführlicheren Variante zuerst am 25. Mai 2019 auf HSozKult erschienen.

Jakob Saß studiert an der FU Berlin im Master »Public History« und arbeitet am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. Er schreibt für verschiedene Medien, darunter Spiegel Online einestages und Zeitgeschichte Online. In den letzten fünf Jahren beschäftigte er sich mit der Täterbiografie des KZ-Kommandanten Adolf Haas, die im Mai 2019 als Buch unter dem Titel »Gewalt, Gier und Gnade. Der KZ-Kommandant Adolf Haas und sein Weg nach Wewelsburg und Bergen-Belsen« erschienen ist.
Bildnachweis
Podiumsdiskussion »(Un-)Politisch? Eine Diskussion über die Herausforderungen der Geschichtswissenschaft heute«, 14. Februar 2019, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Foto: Nora Hilgert.
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