Von Eva Schlotheuber |

Im Frühjahr 2018 trugen Petra Terhoeven und Dirk Schumann die Idee an den Verband heran, eine Resolution der Historikerinnen und Historiker zu den aktuellen politischen Herausforderungen zu entwerfen, um sie auf dem Münsteraner Historikertag in der Mitgliederversammlung zur Diskussion und Abstimmung zu stellen. Diese Idee entsprang seinerzeit ihrer Diagnose einer wachsenden Bedrohung der demokratischen Grundlagen »in Deutschland sowie in zahlreichen anderen Ländern« angesichts des europaweiten Aufstiegs des Rechtspopulismus.

Daran schloss sich die Frage an, ob bzw. inwiefern die Geschichtswissenschaft die Aufgabe habe, sich öffentlich zu Wort zu melden und politischen Diskussionen um gegenwärtige Problemlagen historische Tiefenschärfe zu verleihen. Schnell fand sich ein Kreis namhafter Kolleginnen und Kollegen bereit, diese Initiative zu unterstützen und gemeinsam einen Entwurf für eine Resolution auszuarbeiten. Der gemeinsam verfasste Text wurde auf dem Historikertag in Münster zunächst im Vorstand und im Ausschuss des Verbandes vorgestellt und dann am Mittwoch, dem 26. September 2018, im vollbesetzen Saal der Sektion »Die Komfortzone verlassen? Zur politischen Relevanz von Geschichtswissenschaft heute« intensiv und durchaus kontrovers diskutiert. Diese Diskussion führte dazu, dass der Entwurf anschließend noch einmal durch eine kleinere Gruppe überarbeitet wurde. Am darauf folgenden Nachmittag leitete Frank Bösch eine lebendige Diskussion des Resolutionsentwurfs in einer sehr gut besuchten Vollversammlung (340 Mitglieder ausweislich der Ausschusswahlen), der dann mit großer Mehrheit in nicht geheimer Abstimmung verabschiedet wurde.1

Schon die leidenschaftlichen Debatten in Münster ließen erkennen, wie wichtig es war, diese Debatte über die politische Verantwortung von Historikerinnen und Historikern anzustoßen. Dass dies auf jeden Fall gelungen ist, zeigen die zahlreichen Beiträge in den Feuilletons großer Tageszeitungen, vor allem in der FAZ, aber auch in der Welt und der taz sowie auf Twitter (#VHDResolution, #geschichte_politisch) und bei Public History Weekly, die sich an die Initiative des Historikertages anschlossen. Die Kritik war vielfältig und berührte mehrere Ebenen. So wurde in formaler Hinsicht sowohl das (für Resolutionen übliche) Verfahren, aber auch die Art der Abstimmung in der Mitgliederversammlung kritisiert. Inhaltlich kritisierten sowohl Verbandsmitglieder als auch Kommentatoren der interessierten Öffentlichkeit eine »gefährliche« Annäherung der Geschichtswissenschaft an die Politik, gar eine Andienung an Regierungspolitik oder politische Einseitigkeit. Im Kern ging es dabei aber stets auch um die grundlegenden Fragen, ob der Historikerverband ein Mandat für politisch konnotierte Resolutionen hat oder nicht, und wie wir das Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Politik heute definieren wollen.

Sowohl die Resolution als auch die Debatte berühren damit zentrale Fragen zur Aufgabe der Geschichtswissenschaft in der heutigen Zeit. Diese Fragen von verschiedenen Standpunkten innerhalb und außerhalb des Verbandes zu diskutieren und den damit notwendigerweise verbundenen Dissens auszuhalten, ist vielleicht wichtiger als eindeutige Antworten und einen für alle Zeiten festgezurrten Konsens zu finden. Auf zwei Podiumsdiskussionen wurde die inhaltliche Debatte fortgesetzt. »VHD-Resolution 2018 – Gespaltene Wissenschaft? Eine Bilanz« lautete der Titel einer Podiumsdiskussion und eines interaktiven Videogesprächs, das am 10. Januar 2019 auf Anregung von Georgios Chatzoudis von der Gerda Henkel Stiftung und Marko Demantowsky in Düsseldorf stattfand. Im Rahmen dieses »gts7000. Geschichtstalk« vollzogen Patrick Bahners, Marko Demantowsky, Paula Irene Villa-Braslavsky, Achim Landwehr und Eva Schlotheuber unter der Moderation von Georgios Chatzoudis die gegensätzlichen Positionen nach und versuchten, Verlauf, Ursachen, Kontext und Ergebnisse der Kontroverse herauszuarbeiten. Eine zweite vom Historikerverband organisierte Podiumsdiskussion fand am 14. Februar 2019 in Berlin im vollbesetzten Leibniz-Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften statt. Norbert Frei, Ute Frevert, Dominik Geppert, Thomas Maissen, Andreas Rödder und Eva Schlotheuber diskutierten in einer regen Debatte unter der Moderation von Peter Funke über das Thema »(Un-)Politisch? Eine Diskussion über die Herausforderungen der Geschichtswissenschaft heute«.2 Die Fragen des Publikums zielten vor allem auf die Rolle und die Aufgaben des Verbandes, sodass die tieferliegende Frage nach der kritischen Reflexion des Verhältnisses von Politik und Geschichtswissenschaft auf dem Historikertag 2020 in München erneut aufgegriffen werden sollte. Das Motto des Münchner Historikertages »Deutungskämpfe« wird sicher dazu einzuladen.3

Die zahlreichen Fragen, die langen Diskussionen und die intensiven Auseinandersetzungen haben gezeigt, dass die Resolution und die durch sie entfachte Debatte einen Nerv getroffen haben. Die hier aufgeworfenen Schlüsselfragen werden uns sicher noch eine Weile begleiten: Welche Rolle soll Geschichtswissenschaft heute spielen, wie soll und kann das Verhältnis der Geschichtswissenschaft zu Politik und Gesellschaft aussehen? Die Antworten auf beide Fragen können nicht, oder jedenfalls nicht nur, aus einer wie auch immer ausgestalteten Tradition hergeleitet, sondern müssen immer wieder neu ausgehandelt werden. Dass dies auch andernorts so gesehen wird, zeigen Initiativen, die durch die Resolution und die Diskussion in Deutschland angestoßen wurden: Sowohl die niederländischen Kolleginnen und Kollegen der Royal Netherlands Historical Society (KNHG),4 die European Association of Archaeologists (EAA)5 als auch Kolleginnen und Kollegen aus der Soziologie haben unsere Debatte nicht nur interessiert verfolgt, sondern ihrerseits Diskussionen und Resolutionen darüber angeregt.

Einen Pressespiegel zur Resolution finden Sie auf der Homepage des Verbandes.

Beide Podiumsdiskussionen können als Videomitschnitte auf L.I.S.A. Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung nachgesehen werden:

»VHD-Resolution 2018 – Gespaltene Wissenschaft? Eine Bilanz«, Geschichtstalk gts700, 10. Januar 2019 in Düsseldort, mit Patrick Bahners, Marko Demantowsky, Paula Irene Villa-Braslavsky, Achim Landwehr und Eva Schlotheuber, Moderation: Georgios Chatzoudis.

»(Un-)Politisch? Eine Diskussion über die Herausforderungen der Geschichtswissenschaft heute«, Podiumsdiskussion, 14. Februar 2019 in Berlin, mit Norbert Frei, Ute Frevert, Dominik Geppert, Thomas Maissen, Andreas Rödder und Eva Schlotheuber, Moderation: Peter Funke.

Fußnoten

1 Resolution des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands zu gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie, in: VHD Journal 2019, S. 28f., online.

2 Tagungsbericht zur Podiumsdiskussion von Jakob Saß, Einig über den Zweck, uneinig über die Mittel, in: VHD Journal 2019, S. 33-35, online, HSozKult.

3 Call for Sessions für den 53. Deutschen Historikertag zum Thema »Deutungskämpfe«, online, HSozKult.

4 Antia Wiersma, Is history an (a)-political discipline?, in: VHD Journal 2019, S. 36f., online.

5 European Association of Archaeologists, 2019 EAA Bern Statement: Archaeology and the Future of Democracy, online.

Eva Schlotheuber ist Professorin für Mittelalterliche Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Sie studierte in Göttingen und Kopenhagen, promovierte 1994 und habilitierte sich 2003 an der Ludwig-Maximilians-Universität München mit der Arbeit »Klostereintritt und Bildung. Die Lebenswelt der Nonnen im späten Mittelalter. Mit einer Edition des ›Konventstagebuchs‹ einer Zisterzienserin von Heilig-Kreuz bei Braunschweig (1484 – 1507)«. Von 2007 bis 2010 war sie Professorin für Mittelalterliche Geschichte und Hilfswissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Eva Schlotheuber ist Mitglied der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica, des Konstanzer Arbeitskreises sowie in zahlreichen Kommissionen und Beiräten und Mitherausgeberin der Reihe »Spätmittelalter, Humanismus, Reformation«. Seit September 2016 ist sie Vorsitzende des VHD.

Bildnachweis

Mitgliederversammlung des VHD am 27. September 2018 auf dem 52. Deutschen Historikertag in Münster, Foto: Studio Wiegel.