Im Februar 2017 haben die Fachverbände Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE), Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK), Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS), Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW) und Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD) in Kooperation mit der Schader-Stiftung erstmalig eine gemeinsame wissenschaftspolitische Konferenz zum Thema »Berufsperspektiven in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften« veranstaltet.

Ausgangspunkt der Veranstaltung waren die prekären Bedingungen, unter denen der sogenannte Mittelbau oder wissenschaftliche Nachwuchs über die Fächergrenzen hinweg arbeitet. Befristete Qualifizierungs- und Projektstellen führen zu mangelnder Planbarkeit der Karrieren und damit auch des außerberuflichen Lebens. Angesichts einer neuen Exzellenzstrategie, dem Auslaufen vieler Förderpakte und dem stetigen Sinken der universitären Grundfinanzierung haben sich die Arbeitsbedingungen des Mittelbaus in jüngerer Vergangenheit noch verschärft.

Im Durchschnitt erst im Alter von über 40 Jahren erhalten Nachwuchswissenschaftler- und -wissenschaftlerinnen in Deutschland eine dauerhafte Arbeitsperspektive – wenn sie sie denn erhalten: Zwei von drei für den Beruf des Hochschullehrers bzw. der Hochschullehrerin qualifizierte Nachwuchswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen werden nie eine Professur besetzen können, wie Dr. Anke Burkhardt vom Institut für Hochschulforschung zu Beginn der Tagung in ihrem Vortrag zu den Ergebnissen des jüngsten Bundesberichtes »Wissenschaftlicher Nachwuchs« ausführte.[1]. Diese persönliche Unsicherheit hat auch Auswirkungen auf die Familienplanung. Ein »Exit« aus der Wissenschaft in einen nichtakademischen Beruf ist mit über 40 Jahren häufig schwierig. Für Promovierte, die keine universitäre Karriere anstreben, stellt sich die Situation besser dar, wie Burkhardt ausführte: Die überwältigende Mehrheit von ihnen, nämlich etwa 90 Prozent, auch aus den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, findet innerhalb eines Jahres nach Abschluss der Promotion außerhalb der Universität eine Stelle.

Für die Konferenz hatten die Fachgesellschaften sich das Ziel gesetzt, Lösungsansätze für die genannten Herausforderungen intensiv zu diskutieren und dem Podium zu präsentieren. Über 100 Geistes- und Gesellschaftswissenschaftler, die innerhalb und außerhalb von Universitäten arbeiten, sind der Einladung gefolgt und haben sich zwei Tage im Schader-Forum in Darmstadt in Streitgesprächen, Workshops, Dialog-Cafés sowie einer Podiumsdiskussion ausgetauscht. In einem offenen Forum für den Mittelbau aller Fachgesellschaften zu Beginn der Konferenz konnten sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen über die Fächergrenzen hinweg vernetzen.

Kontrovers diskutiert wurde unter den Stichworten Lehrstuhlsystem und Departementstruktur über eine mögliche Umgestaltung universitärer Strukturen: Kann die Abschaffung des Lehrstuhlsystems mit vergleichsweise wenigen Professuren und sehr vielen, den Lehrstühlen zugeordneten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen hin zu einem angelsächsischen System mit Departements mit vielen Professorenstellen für Deutschland wegweisend sein? Als eine Möglichkeit, das Zahlenverhältnis von befristeten Mittelbaustellen zu dauerhaften (Professoren-)Stellen zu verbessern, forderten Mitglieder der Jungen Akademie die Einrichtung von etwa 1000 aus Bundesmitteln finanzierten Professuren.[2].

In weiteren Workshops wurde über die (persönliche) Bedeutung der Promotion, Verbesserungen des akademischen Arbeitsverhältnisses sowie die Verbindung von Hochschulkarriere und Familienplanung gesprochen, woraus sich konkrete Vorschläge für das Podium entwickelten. Auch wenn in den Workshops und Streitgesprächen deutlich wurde, dass es unterschiedliche Sichtweisen auf die Risiken, aber auch Chancen einer akademischen Karriere gibt, bestand ein breiter Konsens darin, dass es sowohl strukturelle Änderungen wie eine bessere Grundfinanzierung der Universitäten und unterschiedliche Modelle der Verstetigung von Stellen unterhalb bzw. neben den Professuren als auch persönliche Verantwortung für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und ihre Lebensläufe geben muss.

Akademisch ausgebildete Vertreter und Vertreterinnen außeruniversitärer Berufsfelder machten deutlich, dass es kein Scheitern bedeutet, nach Studium und erfolgreicher Promotionsphase die Wissenschaft zu verlassen – und dass dieser »Exit« durchaus schon während des Studiums, der Promotion oder auch noch des Postdoc-Projekts mitgedacht und geplant werden kann.

Umstritten blieb der Begriff des »wissenschaftlichen Nachwuchses« unter den Vertretern und Vertreterinnen des akademischen Mittelbaus: erwachsenen Menschen mit erfolgreich abgeschlossenem Studium oder sogar Promotion. Während der Konferenz lief deshalb ein Ideenwettbewerb zur Neubenennung von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, die (noch) keine Professur innehaben – gewonnen hat der Begriff »BefristeteStellenInhaber*innen = BeStI(e)n«. Diese Begriffsfindung lässt einen gewissen Galgenhumor erahnen und ist noch nicht abgeschlossen – ebenso wenig wie der Einsatz für strukturelle Verbesserungen im Bereich akademischer Karrieren.

K. Matron schrieb den Tagungsbericht zu Berufsperspektiven in den Geisteswissenschaften
Kristina Matron

Kristina Matron studierte Mittlere und Neuere Geschichte, Fachjournalismus Geschichte, Politik und Germanistik an der Universität Bielefeld und der Justus-Liebig-Universität Gießen, an der sie 2010 promoviert wurde. Von 2006 bis 2010 war sie Mitarbeiterin im Firmenarchiv der KAMAX-Werke in Homberg/Ohm; seit 2010 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung Stuttgart. Seit Oktober 2015 ist sie für den VHD im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit tätig.

 

 

  1. [1]Der Bericht ist inzwischen erschienen: Konsortium Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (Hg.), Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2017, Bielefeld 2017, online: http://www.buwin.de, zuletzt abgerufen am 3.5.2017.
  2. [2]https://www.diejungeakademie.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/aktivitaeten/wissenschaftspolitik/stellungsnahmen_broscheuren/20160512_JA_Positionspapier3_RZ_Ansicht.pdf, zuletzt abgerufen am 10.3.2017.