Autor: Jens Borchert
Zehn Thesen wider die allzu einfachen Lösungen1
1 (Fast) Niemand will eine Departmentstruktur um ihrer selbst willen errichten.
Nach einer langen Phase des Schweigens in eigener Sache gibt es gegenwärtig eine rege Diskussion in den Geistes- und Sozialwissenschaften. In dieser Debatte sind zwei wichtige Fragen – jene nach der angemessenen Organisationsstruktur der Universitäten und jene nach der Möglichkeit besserer Berufsperspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses – bis zur Ununterscheidbarkeit miteinander vermengt. Das hat beiden Themen nicht gut getan. So wird gegenwärtig mehr über die Organisationsstruktur gesprochen und – vor allem seitens wichtiger Teile des wissenschaftlichen Nachwuchses – die Lösung allen Übels in der Einführung einer Departmentstruktur gesehen. Das Übel, das man hier bekämpfen will, ist jedoch gerade kein organisatorisches, sondern die unbefriedigende berufliche Situation des »Mittelbaus«.
Dabei bleibt unklar, warum und wie eine Organisationsreform ein Problem lösen sollte, das auf einem ganz anderen Gebiet liegt. Hier werden Automatismen unterstellt, die bei näherem Hinsehen so einfach nicht bestehen. Wir sollten daher beide Anliegen getrennt diskutieren – aber natürlich die Rückwirkungen auf den jeweils anderen Bereich berücksichtigen.
2 Die Diagnose, wir hätten ein – zu überwindendes – »Lehrstuhlsystem« an den deutschen Universitäten, ist Ausdruck einer bewussten Verkürzung zu rhetorischen Zwecken.
In der Debatte wird aus rhetorisch-strategischen Gründen ein manichäisches Weltbild gepflegt, in dem ein »feudalistisches« Lehrstuhlsystem einem per se als egalitär und demokratisch empfundenen Departmentsystem gegenübersteht.
Diese Prämisse der Debatte ist gleich in zweierlei Hinsicht falsch. Das historische deutsche Lehrstuhlsystem hat sich in den Geistes- und Sozialwissenschaften nur in Süddeutschland (sprich: Bayern und Baden-Württemberg) erhalten und wurde nach 1989 in weiten Teilen Ostdeutschlands neu eingeführt. Im Rest der Bundesrepublik sind verschiedene Spielarten eines Institutssystems vorherrschend, das historisch auf die Ausweitung des Hochschulsystems in den 1970er-Jahren und die Umwandlung zahlreicher Mittelbaustellen in Professuren zurückzuführen ist. Schaut man genauer hin, findet man zahlreiche lokale Variationen als Produkte eines durch layering bestimmten historischen Prozesses, die sich kaum unter ein einheitliches Modell subsumieren lassen.
Zum anderen wird diesem fälschlicherweise zum Lehrstuhlsystem vereinheitlichten Modell eines gegenübergestellt, das es an deutschen Universitäten so bislang gar nicht gibt. Genau diese Nichtexistenz eines Department-Modells ermöglicht es den Verfechtern dieses Reformvorschlages, das Department zur Projektionsfläche aller möglichen Wunschvorstellungen zu machen.
Die Diskussion des Departmentsystems sollte sich aber nicht an solchen idealisierten Erwartungen, sondern an den – ja vorhandenen – Erfahrungen in anderen Ländern orientieren.
3 Gemessen an diesen Erfahrungen gibt es wenig Gründe, eine egalitäre (oder auch nur egalitärere) Verteilung von Arbeit und/oder Einfluss im Department zu erwarten.
Departments in den USA oder in Großbritannien sind erstens eben gerade keine Horte der Gleichheit, sondern in hohem Maße intern stratifizierte Organisationseinheiten. Zweitens werden hier sehr viel stärker als in deutschen Instituten weite Teile der allseits ungeliebten Aufgaben an außerhalb des eigentlichen Departments stehende prekär Beschäftigte ohne jeglichen Einfluss delegiert.
In den USA ist die Bedeutung von nicht fest angestellten Adjunct Professors in der Lehre in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen – sie übernehmen mittlerweile einen Großteil der Lehre. Daneben spielen Doktoranden und andere Graduate Students als Teaching Assistants und Research Assistants eine wichtige Rolle, die Frondienste in Lehre und/oder Forschung leisten müssen, um ihre Studiengebühren abzuarbeiten. Departments haben typischerweise gepoolte Sekretariatskräfte. Nach außen unterliegen amerikanische Departments zudem der externen Kontrolle durch mächtige professionalisierte Dekane und Dekaninnen.
Wenn man sich die Berichte von im angelsächsischen Ausland arbeitenden deutschen Wissenschaftlern – etwa in den letzten Jahrgängen der Zeitschrift »Forschung und Lehre« – anschaut, scheint es wenig Gründe zu geben, von einer prinzipiellen organisatorischen Überlegenheit oder einer egalitäreren Organisationskultur von Departments per se auszugehen. Vielmehr zeigen diese Innenansichten sehr deutlich die massiven Defizite des Departmentsystems auf.
4 Die Semantik vom gegenwärtig angeblich herrschenden »Feudalsystem« an deutschen Hochschulen ist in der Sache grotesk falsch, aber da – ungewollt – aufschlussreich, wo sie einen Blick auf die geeigneten Strategien zur Überwindung dieses Systems erlaubt.
Wissenschaft ist in vielerlei Hinsicht immer noch ein privilegiertes Berufsfeld. Das erklärt auch, warum selbst Mittelbauangehörige, die mit bestimmten Aspekten ihrer Beschäftigungssituation – zu Recht – sehr unzufrieden sind, insgesamt in Umfragen ein hohes Ausmaß an Zufriedenheit mit ihrem Beruf artikulieren.
Es gibt sicher in einzelnen Fällen immer noch Ausbeutungs- und extreme Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Professoren auf der einen und ihren Mitarbeitern bzw. Mitarbeiterinnen auf der anderen Seite. Die Regel ist das aber ebenso sicher nicht. Das Bild, dass Mittelbauangehörige gewöhnlich die Forschungsanträge wie -ergebnisse produzieren, unter die ihre vorgesetzten Professoren dann nur ihre Namen setzen, ist ein Klischee, das dort, wo es Realität widerspiegelt, schlicht auf ahndungswürdiges unethisches Verhalten verweist.
Wären die Freiheitsgrade der wissenschaftlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in ihrer täglichen Arbeit tatsächlich so beschränkt und wäre das Ausmaß der Expropriation geistigen Eigentums durch ihre Vorgesetzten so groß, wie es die Rede vom »Feudalismus« oder der »Refeudalisierung« Glauben machen will, wäre die berufliche Zufriedenheit von Wissenschaftlern im Mittelbau nicht zu erklären.
Wirklich erstaunlich – aber eben auch aufschlussreich – ist, dass auch die Strategien mancher Mittelbauvertreter der Logik der Feudalismus-Semantik folgen. Seit Marx wissen wir ja, welcher Weg zur Überwindung von Feudalstrukturen einzuschlagen ist: Der Siegeszug des Kapitalismus wird sie zerstören (»all that is solid melts into air«) und Raum für eine bessere Zukunft schaffen. Wer also die »feudale« Lehrstuhlstruktur zerschlagen will, muss nur nach Kräften neoliberale Reformstrategien in der Hochschulpolitik befördern.
Dass die Forderung nach einer Departmentstruktur genau diese Logik konsequent umsetzt, ist bemerkenswert – aber wohl kaum im Interesse des wissenschaftlichen Nachwuchses!
5 Die Departmentstruktur wäre die – noch fehlende – dritte Säule neoliberaler Hochschulreform.
Der Exzellenzwettbewerb verfolgte das Ziel, die relativ egalitäre Struktur unter den Universitäten in Deutschland zu schleifen und sie einem permanenten Wettbewerb nach festgelegten, ökonomisch definierten Kriterien zu unterwerfen. Das ist teilweise gelungen: Zwar gibt es nach wie vor keine Exzellenzuniversitäten, die diesen Namen verdienen würden, aber viele Universitäten oder Teile von Universitäten sind in ihrer Grundfinanzierung so ausgetrocknet worden, dass sie den Anschluss verloren haben.
Die Bologna-Reformen verfolgten als zweite Säule das Ziel, das Studium zu standardisieren und zu verkürzen. Während die Standardisierung und Verschulung als weitgehend »gelungen« betrachtet werden darf, ist die Verkürzung – zumindest in unseren Fächern – grandios gescheitert. Ein weiteres, immer wichtiger werdendes Ziel ist es, die Studiengänge und -fächer zu pluralisieren und so die traditionellen Fachdisziplinen zu schwächen bzw. ganz abzuschaffen. Zynischerweise kann man hier wohl davon sprechen, dass wir »auf einem guten Weg« sind.
Die vorgeschlagene Organisationsreform verfolgt nun das Ziel, den Durchgriff der Zentrale auf die unteren Einheiten zu verbessern, Einsparungspotenziale zu nutzen und die – noch vorhandenen – Möglichkeiten, sich der Logik der Ökonomisierung zu entziehen, zu verringern. Wer verfolgt hat, wer zuerst für Departments eingetreten ist und in welchen Fachbereichen solche Reformen zuerst umgesetzt worden sind, muss sich schon wundern, dass der wissenschaftliche Nachwuchs – oder genauer: Teile seiner öffentlichen Repräsentanten – ausgerechnet die Forderung nach einer Departmentstruktur für den Hebel halten, mit dem man die in der Tat besonders hartleibigen Strukturen deutscher Universitäten aufbrechen und mit einem besseren Modell ersetzen kann.
6 Das Erstaunlichste an dem Department-Vorschlag des wissenschaftlichen Nachwuchses ist, dass der Mittelbau damit offen seine Abschaffung betreibt.
Normalerweise kann man davon ausgehen, dass statusbewusste Gruppen Gruppeninteressen formulieren und versuchen durchzusetzen. Insofern ist es verblüffend, dass hier offenkundig eine Gruppe sich selbst abschaffen möchte. Das wirft unmittelbar die Frage auf, welche Erwartungen und Interessen hinter einer solchen kollektiven Selbstaufgabe stehen.
Ein Blick auf das Bremer Modell – eine von der Bremer Politikwissenschaft beschlossene, aber politisch noch nicht umgesetzte Organisationsreform – bringt hier Klarheit. Demnach sollen die Stellen der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abgeschafft werden, indem sie in Professuren umgewandelt werden.
Insofern kann von einer Selbstaufgabe – wie es zunächst aussieht – nicht die Rede sein: Es soll keine wissenschaftlichen Mitarbeiter mehr geben, weil diese zu Professoren und Professorinnen werden. Das entbehrt nicht einer gewissen Logik, da der Mittelbau seiner Konstruktion gemäß ja eben eigentlich keine Statusgruppe, sondern ein transitorischer Zustand ist. Die Chance für eine ganze Gruppe, daraus in die gewünschte Richtung zu entkommen, hat da naturgemäß einen hohen Reiz.
7 Eine Umwandlung der vorhandenen Mitarbeiterstellen in Professuren nützt nur einer Kohorte und löst die strukturellen Probleme nicht.
Was unter dem Gesichtspunkt des kollektiven Eigeninteresses der gegenwärtigen Stelleninhaber völlig rational erscheint, ist unter systemischen Gesichtspunkten verhängnisvoll. Gelingt es einer Kohorte, die eigenen Stellen in Professuren umzuwandeln, sind deren Angehörige saniert – aber auf Kosten der nächsten ca. vier Kohorten. Die schlagartige Vermehrung der Professuren in den 1970er-Jahren hat als Realexperiment bereits einmal erwiesen, dass die punktuelle Schaffung vieler Dauerstellen auf Kosten der nächsten Wissenschaftlergenerationen gehen muss. Eine Wiederholung scheint weder ratsam noch legitim.
8 Im Gegenteil würde eine Umwandlung der Mitarbeiterstellen in Professuren die Arbeitsbedingungen an den deutschen Universitäten insgesamt verschlechtern – gerade auch für den wissenschaftlichen Nachwuchs und mit fatalen Folgen für die Hochschulen.
Die Umwandlung in Professuren wäre eine Lösung für wenige Postdoktoranden. Was wäre mit den übrigen? Zudem wären »Kollateraleffekte« auf das administrative Personal (Stellenabbau, Arbeitsverdichtung) zu erwarten. Schließlich gäbe es auch für Doktorandinnen und Doktoranden keine Mittelbaustellen mehr. Die wissenschaftliche Karriere müsste direkt vom Promotionsstipendium oder einer prekären Position als wissenschaftlicher Hilfskraft zur Professur führen.
Das wäre in mehrfacher Hinsicht hoch problematisch. Es würde mit großer Wahrscheinlichkeit gerade Nachwuchswissenschaftler aus bildungsferneren Elternhäusern abschrecken. Was hier völlig verkannt wird, sind die starken positiven Sozialisationseffekte einer Beschäftigung als wissenschaftliche Mitarbeiterin bzw. Mitarbeiter – sowohl individuell als auch institutionell. Individuell sind die Erfahrungen eine zentrale Ressource, um »Universität zu verstehen« und an einer Hochschule beruflich bestehen zu können. Hier macht man Erfahrungen in der Lehre, entwickelt ein Lehrrepertoire und ein Forschungsprogramm, von denen man auch später zehrt.
Zudem fördern diese Erfahrungen Menschen, die institutionell denken. Eine Professorenschaft, in der nur noch wenige oder gar keiner mehr bereits vorher im relativ geschützten Raum des Mittelbaus Erfahrungen an der Universität gemacht haben, wäre aufgrund eines noch weiter radikalisierten Individualismus eine Gefahr für die Institution Universität.
9 Die anzustrebenden Ziele einer Organisationsreform im Interesse des wissenschaftlichen Nachwuchses müssten es sein, erstens Unsicherheit und Ungewissheit zu verringern und zweitens frühes selbstständiges Arbeiten zu ermöglichen.
Was viele zu Recht als unzumutbar empfinden, ist die lange Zeit der Ungewissheit, ob eine wissenschaftliche Karriere überhaupt realistisch ist. Hier könnte die Schaffung von Dauerstellen im Mittelbau (als Lecturer o.Ä., keine Hochdeputatsstellen) ein Ausweg sein. Voraussetzung wäre, dass diese Positionen relativ bald nach der Promotion angestrebt und ausgeübt werden und daher nicht als »Trostpreis für die Gescheiterten« gelten wie einst die der Akademischen Räte.
Der zweite Bedarf ergibt sich aus dem nachvollziehbaren Drang, früher selbstständig wissenschaftlich zu arbeiten. Hier sind Nachwuchsgruppen mit entsprechenden Leitungspositionen zweifellos die geeignete Strategie, die auch von den Universitäten und Fachbereichen selbst ergriffen werden sollte.
In beiden Fällen führt der Weg zum Ziel gerade nicht über einen Systemwechsel, sondern über graduelle Reformen und die Eröffnung verschiedener Wege in die Wissenschaft als Beruf. Ein Anfang sollte überall da ermöglicht werden, wo eine Professorin oder ein Professor bereit ist, eine Mitarbeiterstelle für eine Umwandlung in eine Stelle als Lecturer oder Nachwuchsgruppenleiterin zur Verfügung zu stellen – oder zwei jeweils eine halbe!
10 Insgesamt gibt es gute Gründe, das Trojanische Pferd Departmentstruktur im Stall zu lassen, aber keine guten Gründe, die Strukturprobleme des Nachwuchses weiterhin zu ignorieren.
1 Dieser Text ist die überarbeitete Fassung eines Vortrages bei der gemeinsamen Veranstaltung der Schader-Stiftung mit fünf wissenschaftlichen Fachgesellschaften zum Thema »War die Zukunft früher besser? Akademische und außerakademische Berufsperspektiven in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften« im Februar 2017 in Darmstadt. Mein thesenförmiger Vortrag war Teil eines Streitgespräches mit der Jenaer Soziologie-Professorin Silke van Dyk zum Thema »Universitäre Strukturen auf dem Prüfstand: Departmentstruktur versus Lehrstuhlsystem«.Zur Position von van Dyk vgl. Silke van Dyk und Tilman Reitz, Projektförmige Polis und akademische Prekarität im universitären Feudalsystem. Zwei Diagnosen und eine Fünf-Jahres-Perspektive, erschienen in zwei Teilen im SozBlog der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Juni 2016, online: http://soziologie.de/blog/2016/06/projektfoermige-polis-und-refeudalisierung/ bzw. http://soziologie.de/blog/2016/06/projektfoermige-polis-und-refeudalisierung-teil-2/, zuletzt abgerufen am 4.5.2017.

Jens Borchert ist seit 2007 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Frankfurt am Main. Er studierte an der Universität Hamburg und an der New School for Social Research (New York). Promoviert wurde er an der Universität Göttingen und habilitiert an der Universität der Bundeswehr Hamburg. Vor dem Ruf nach Frankfurt war er Leiter einer Nachwuchsgruppe der Volkswagenstiftung an der Uni Göttingen, vertrat Professuren in Potsdam und Hamburg und hatte eine Gastprofessur in Rio de Janeiro inne. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Professionalisierung der Politik, politische Karrieren und zuletzt Demokratiekonzepte von Politikern im historischen und internationalen Vergleich.
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