Martin Schulze Wessel (Vorsitzender des VHD)
Seitdem es die Einrichtung des »Partnerlands« auf dem Deutschen Historikertag gibt, hat dessen Wahl meistens die guten, intensiven Beziehungen dokumentiert, die zwischen der deutschen Geschichtswissenschaft und den Kolleginnen und Kollegen des Partnerlands bereits existierten. Nur die Wahl Polens und Tschechiens waren, nicht lang nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, mehr als Signal für die Zukunft zu verstehen. Doch auch in diesen Fällen bauten die Partnerschaften auf intensiven Kooperationen kleiner spezialisierter Communities wie der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission auf, in der die deutsche und polnische Geschichtswissenschaft seit Jahrzehnten kontinuierlich den Austausch pflegte.
Zwischen Indien und Deutschland gibt es prominente Brückenbauer seit dem 19. Jahrhundert, und eine Reihe von Universitäten pflegt heute beispielsweise im Bereich der Geschichtswissenschaft oder der Indologie Austauschbeziehungen zu Indien. Bislang besteht aber, abgesehen von Initiativen des BMBF und der DFG, keine übergreifende institutionelle Verbindung mit dem Ziel der gemeinsamen Projektförderung. Die Wahl von Indien als Partnerland, die der Ausschuss des VHD im Dezember 2014 traf, reflektiert die Horizonterweiterung der Geschichtswissenschaft durch die transnationale und globale Geschichte, und sie signalisiert das starke Interesse an der Kooperation mit einer der großen Historiografien Asiens.
Die für Geschichtswissenschaften zuständige staatliche Fördereinrichtung Indiens, der Indian Council of Historical Research (ICHR) und der Indian History Congress, der die indischen Historikertage organisiert, haben das Angebot gern aufgegriffen und ihre Vertreter für das traditionelle gemeinsame deutsch-indische Panel nominiert. Die Wahl des Partnerlands Indien kommt zur rechten Zeit, insofern sie eine wechselseitige Aufmerksamkeit der indischen und deutschen Geschichtswissenschaften aufnimmt. Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass die Vorbereitung des Historikertags in Indien mit einer Entwicklung zusammenfällt, welche die Geisteswissenschaften dort in eine schwierige Situation gebracht hat.
Die seit 2014 regierende Bharatiya Janata Party (BJP) hat im universitären Bereich einen Machtanspruch erhoben, der – auch für die westlichen Länder – in der Verhaftung des Studentenführers Kanhaiya Kumar und anschließenden Studentenprotesten einen sichtbaren Höhepunkt hatte. Im ICHR wurden alle Präsidiumsstellen im Sinne der Regierung neu besetzt.1
53 indische Historiker und Archäologen von angesehenen Institutionen wie der Delhi University, der Jawaharlal Nehru University und von weiteren Universitäten aus Kalkutta, Hyderabad und Bombay warnten in einem offenen Schreiben vor wachsender Intoleranz: »After concerned at the highly vitiated atmosphere prevailing in the country, characterised by various forms of intolerance, we, as academic historians and as responsible citizens of a democracy that has greatly valued its inherited traditions of tolerance, wish to express our anguish and protest about the prevailing conditions.« Der Regierungspartei nahestehende Historiker traten diesem Aufruf öffentlich entgegen.
Dies ist der allgemeine geschichtspolitische Hintergrund. In der letzten Aprilwoche besuchte ich zusammen mit Dr. Torsten Fischer, der in der Fachabteilung der DFG die Internationale Forschungsförderung koordiniert, New Delhi und führte Gespräche, die uns sowohl an die Delhi University als auch zum ICHR und in das zuständige Ministry of Human Resource Development (MHRD, vergleichbar etwa mit dem deutschen BMBF) führten. Die gegenwärtigen ideologischen und politischen Spannungen kamen dabei jedoch kaum zur Sprache, im Vordergrund stand das langfristige Interesse an Austausch bzw. das Fachgespräch.
Das erste Gespräch führten wir mit Kolleginnen und Kollegen vom History Department der Delhi University wie den Professoren Bhairabi Prasad Sahu, Kesavan Veluthat, Upinder Singh u. a. Über weite Strecken ging es um einen Fachaustausch, speziell um die Tendenzen der Forschung in Deutschland und Indien, was auch auf dem gemeinsamen deutsch-indischen Panel des Historikertags über »Transnationale Geschichte« thematisiert wird, an dem mehrere der Kollegen der Delhi University teilnehmen werden. Ein anderes Thema, das insbesondere die Altphilologen der Delhi University beunruhigte, waren die Kürzungen und Streichungen im Bereich der Indologie in Deutschland. Die Studentenproteste waren in der Universität noch durch Aushänge und Poster präsent, wie beim anschließenden Rundgang über den Campus sichtbar wurde.
Bei den Gesprächen im Ministry of Human Resource Development, dem indischen Bildungs- und Wissenschaftsministerium, ging es am nächsten Tag sowohl um den Historikertag als um langfristige Perspektiven der Kooperation. Das Gespräch verlief in einer überraschend lockeren, sachbezogenen und freundlichen Atmosphäre. Das Wissenschaftsministerium signalisierte sein Interesse an dem Gespräch durch die Anwesenheit von mehreren Abteilungsleitern.
Der Joint Secretary des Ministeriums, Praveen Kumar, begrüßte die Wahl Indiens als Partnerland des Historikertags und bekundete sein Interesse für langfristige Zusammenarbeit im Bereich der Geisteswissenschaft. Zugleich wurde uns nahegelegt, auf dem Historikertag auch eine Kooperation mit dem Indian Council of Social Science Research (ICSSR), möglicherweise durch eine zusätzliche deutsch-indische sozialgeschichtliche Sektion, einzugehen. Der ICSSR-Generalsekretär Dr. G.S. Saun war daher zu unserem Gespräch in das Ministerium geladen worden und anwesend. Praveen Kumar wies auch auf die in Deutschland noch weitgehend unbekannten, jedenfalls kaum genutzten Stipendienmöglichkeiten des indischen Wissenschaftsministeriums hin. Die entsprechende Förderlinie trägt das Akronym GIAN und wird auf der Homepage des Historikertags vorgestellt werden.
Auch das Gespräch im ICHR, vertreten durch dessen Chairman Prof. Y. Sudershan Rao, das Präsidiumsmitglied Dr. Saradindu Mukherji sowie den Generalsekretär S. K. Aruni, wurde geprägt durch ein deutliches Interesse an langfristiger projektorientierter Kooperation, was speziell für deutsch-indische geisteswissenschaftliche Projekte, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert werden, von Bedeutung ist. Auf dem Historikertag wird der ICHR durch zwei Mitglieder am deutsch-indischen Panel beteiligt sein, der liberalere Indian History Congress hat vier weitere Teilnehmer entsandt.
Abgeschlossen wurden die Arbeitsgespräche durch ein Treffen in der Deutschen Botschaft mit dem Botschafter Dr. Martin Ney und dem Kulturattaché Dietrich Graf von der Schulenburg. Der Botschafter informierte sich ausführlich über den Hamburger Historikertag, den er in eine ganze Reihe von deutsch-indischen Veranstaltungen in Politik, Wirtschaft und Kultur platzierte, die in den nächsten Jahren stattfinden werden.
1 Siehe dazu: Axel Michaels, Wie viel Religion verträgt ein Bildungssystem?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24.2.2016.
Bild: Eindrücke vom Historischen Institut der University of Delhi.
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